http://pespmc1.vub.ac.be/GBRAIN-L.html
Trotz starker lokaler Bezüge und wachsendem Individualismus wird wird Gesellschaft in Deutschland schon auch traditionell als Gemeinschaft gesehen, auch wenn Außenseitern diese Erkenntnis nicht leicht gemacht wird. Das unangenehme an der konservativen Auffassung hierzulande ist eigentlich nur, daß sich diese Gemeinschaft sehr stark über Abgrenzung definiert. Eine bestimmte Form des Zusammenlebens wird akzeptiert und gefördert, jede andere ausgegrenzt und unterdrückt. Dabei war und ist diese Form nicht notwendigerweise zu allen Zeiten und in allen Gegenden des Landes dieselbe. Dies mag mit ein wichtiger Grund sein für die Vielstaaterei der Vergangenheit und die Betonung des Föderalismus in der Gegenwart.
Der Kommunismus hatte anfang des letzten Jahrhunderts in diesem Gemeinschaftssinn einen guten Nähboden, ist aber schon nach kurzer Zeit an den regionalen Strukturen gescheitert. Die nicht totzukriegende Frage nach dem „warum“ der Nazizeit scheint da entweder betriebsblind oder scheinheilig zu sein. In einer solchen Gesellschaft als Außenseiter zu leben ist, unabhängig von Staatsbürgerschaft, Volkszugehörigkeit oder Haarfarbe, kein angenehmes Schicksal. Daran wird der aktuelle Versuch der konservativen Parteien nichts ändern, sich wieder stärker als Förderer von Gemeinschaft zu präsentieren . Denn die Förderbedingungen werden sich weiterhin an einer Gesellschaftsform orientieren, deren Bevölkerungsanteil sich mit zunehmender Geschwindigkeit von der einfachen Mehrheit in Richtung gerontopalliativen Minderheitenschutz entwickelt (hoffentlich…).
Angesichts dieser Verhältnisse scheint es nicht mehr so verwunderlich, daß ein Begriff wie „Integration“ ein Reizwort ist,welches erst aus einer toten Sprache entlehnt werden muß. Klarer wird auch, warum die damit beschriebenen Vorstellungen und Konzepte mit „Assimilation“ deutlich treffender beschrieben wären. Was aber vor allem plausibel wird ist, warum die „Individualisierung“ als der Antichrist der Moderne gebrandmarkt wird, obwohl unsere interlektuellen Volkshelden sämtlich unglückliche Außenseiter waren. Ebenso wie ich hier nur die negativen Seiten einer hermetischen Gesellschaft aufzeige, wird vom Individualismus nur der destruktive, egoistische Teil gesehen. Dieser Teil ist natürlich sehr wichtig, vor allem während der Entwicklung zum Individuum. Dennoch bleibt es nur der erste Schritt, ein – tendenziell – aggressiver Akt, der die Loslösung von der Beliebigkeit ermöglicht. Aber das menschliche Potential ist damit bei weitem nicht erschöpft. Aggressiv bleibt dieser Akt nur dann, wenn diese Loslösung dauerhaft unterdrückt wird.
Die echte Chance, die dieser – mittlerweile globalen – Entwicklung innewohnt, die oft fälschlicherweise als „Individualisierung der Gesellschaft“ bezeichnet wird, besteht darin, die Gesellschaft tatsächlich zu individualisieren. Das Konzept der „Arbeitsteiligen Gesellschaft“ muß auf den Einzelnen angewendet werden. Jeder Mensch ist auf seine Art ein Genie. Dabei ist dieses „auf seine Art“ der Schlüssel zu diesem Potential und nicht die „individuelle Förderung“ erwünschter Fertigkeiten. Integration – auf die eine oder andere Art – ist ein allen Lebewesen innewohnendes Bedürfnis, das nicht gefordert oder gefördert sondern nur ermöglicht werden muß. In einer Atmosphäre des Respekts vor dem Einmaligen und Besonderen des Gegenübers wird jeder Mensch einen unersetzbaren Beitrag für eine Gemeinschaft leisten. Eine Kultur in der nicht mehr jeder alles können muß, kann eine Gesellschaftsform tragen, die nur aus Spezialisten besteht. Die einzige Fertigkeit, die alle gemeinsam beherrschen müssen und deren Abwesenheit uns daran hindert eine solche zu werden, ist die Teamfähigkeit.
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