Zur Einschätzung der subjektiven Stärke von Schmerzen gibt es eine scheinbar einfache Skala: Der Betroffene soll die Stärke seiner Schmerzen auf einer Skala von 0 (kein Schmerz) bis 10 (stärkster vorstellbarer Schmerz) einschätzen. Dank einschlägiger Erfahrungen und denen der letzten Monate konnte ich diese Skala für mich in klare Stufen einteilen. Obwohl es sich immer noch um eine Selbsteinschätzung handelt, scheint sie doch einen logarhythmischen Charakter bekommen zu haben, wie jede andere Wahrnehmungsskala auch.
Die Stufen definiere ich so:
0. Vollkommen Schmerz- und Beschwerdefrei
- Sublimaler Schmerz: Im Alltagsgeschehen geht er unter, wird die Aufmerksamkeit darauf gerichtet „weiß“ man dass er da ist. Kopfschmerztabletten haben oft diese Wirkung wenn sie die Stufe 4 hatten. Auch durch körperliche Aktivität relativierter Bewegungsschmerz gehört hierher. Bei Zahnbehandlungen ordne ich diese Stufe in den Bereich einer „normalen“ Wahrnehmung ein, .
- Definierter Schmerz: Die Grenze wird überschritten, sobald der Schmerz spontan ins Bewußtsein tritt (sprich: er ist minimal wahrnehmbar). Er ist leicht zu ignorieren und bei bekannter Ursache gut auszuhalten. Konzentration auf einen anderes Thema oder körperliche Aktivität senkt ihn regelmäßig auf Stufe 1 (Entscheidungskriterium).
- Penetranter Schmerz: Der Schmerz nimmt jederzeit einen minimalen Teil des Bewußtseins ein und beeinträchtigt so die Konzentration. Ablenkung oder Aktivität ist hilfreich bei der Schmerzbewältigung und kann den Pegel auf die Grenze zu Stufe 2 senken. Ruhe wirkt dagegen Kontraproduktiv und kann den Pegel auf die Grenze zu Stufe 4 anheben. Wirkt hemmend auf die allgemeine Motivation und den Appetit. Führt unbehandelt zu Reizbarkeit und kann langfristig Persönlichkeitsveränderungen anstoßen. Dennoch werden Schmerzen dieser Stärke gesellschaftlich als „Alltagsschmerz“ eingestuft.
- Einnehmender Schmerz: Der Schmerz nimmt jederzeit einen grossteil des Bewußtseins ein. Die Konzentration auf abstrakte Inhalte ist nicht mehr effektiv und vermindert die Fähigkeit der Schmerzbewätigung. Körperliche Aktivität ist in Grenzen hilfreich, senkt den Pegel jedoch nicht (Entscheidungskriterium). Führt unbehandelt zu somatischen Begleiterscheinungen (z.B. Übelkeit, somatische Dysfunktion).
- Treibender Schmerz: Der Schmerz bewirkt einen erhöhten Muskeltonus, erhöhten Herzschlag, Nervosität oder restless legs. Es werden jedoch keine spontanen Muskelkontraktionen ausgelöst. Kann ohne Körpereinatz oder Schmerzmittel nicht bewältigt werden.
- Maximaler Schmerz: Plötzlich auftretender Schmerz entlädt sich zwangsweise in körperlicher Aktivität (efferente Reizübersprünge). Eine Lenkung dieser Aktivität ist bei Erwartung und konzentrierter Wachheit begrenzt möglich. Kann als Dauerschmerz nur mit maximalem Körpereinsatz oder starken Schmerzmitteln bewältigt werden.
- Zuckender Schmerz: Unkonntrollierbare Spontanmotorik oder Lautäußerungen. Im Alltag kommt diese Intensität fast nur als Schmerzspitze vor. Als anhaltender Zustand ist er durch nicht unterdrückbares Schreien oder Wimmern gekennzeichnet. Vor allem wirkt aber die Empfindung der weiteren Steigerungsfähigkeit dieser Intensität als Ankündigung einer unbekannten Bedrohung. Schmerzen ab dieser Stärke können anhaltende neurotische Ängste und Panikattacken auslösen.
- Überwältigender Schmerz: Spontane Löschung des Arbeitsgedächtnisses (etwa wie bei einem stumpfen Kopftrauma: das Gefühl des Aufwachens), die stärkere Form der Schmerzspitze. Tendiert als Dauerzustand zu Stufe 9 und wirkt so, auch bei einer Ersterfahrung, als furchteinflößende Ankündigung eines namenlosen Grauens. Kann das verfestigen von Neurosen begünstigen.
- Zerstörender Schmerz: Synästhetische Körperempfindungen: Z.B. Nervenschmerzen, die mit einer sehr überzeugenden Empfindung von „heißen Nadeln“ oder dergleichen einhergehen. Die konkrete Ausgestaltung dieser Empfindungen ist extrem von der Persönlichkeit und dem Wissensstand des Betroffenen abhängig. Die Gemeinsamkeit dieser Erlebnisse ist integritäres Entsetzen: die als Unbeschränkt erlebte Intensität der Schmerzen führt intuitiv zum Verlust des Grundvertrauens in die eigenen Körperfunktionen. Das „Gefühl auseinanderzufallen“ wirkt wie sprichwörtliche Realität und führt zu Überlebensängsten, die sich auch bei Einzelerlebnissen nach der reinen Schmerzbewältigung noch auf die Persönlichkeit auswirken.
- Auswegloser Schmerz: Operativer Schmerz / Geburtsschmerzen / existenzielles Entsetzen: Bewußte Erfahrungen dieser Stufe sind heute glücklicherweise selten geworden und führen regelmäßig zu bleibenden Persönlichkeitsveränderungen.
Durch den Schmerz induzierte Bewußtlosigkeit / Tod
Bis Stufe 9 beruht diese Einschätzung auf Selbsbeobachtungen, die für Stufe 9 zusätzlich und für Stufe 10 ausschließlich auf Fremdbeobachtungen.
Stufe 6 bis 8 sind besonders instabil. Mit „Bewältigung“ ist die mittelfristige (bis zu einer Stunde) Senkung auf ein jeweils erträgliches Niveau (etwa 3-4) gemeint.
Ab Stufe 4 ist bei raschem Sinken des Schmerzpegels mit Katharsiseffekten zu rechnen.