Angie beklage die Fragmentierung der Gesellschaft heisst es. Zusammenhang: Das Internet ermögliche Grüppchenbildung und das erschwere ein homogenes Meinungsbild. So weit so halbwahr. Nach der Agenturverwurstung bleibt davon etwa: „Das Internet fragmentiert die Gesellschaft“ – oder ähnlich. Selbst bei netzpolitik.org heisst es, man müsse sich wohl daran gewöhnen (wobei der Bezug hier genaugenommen auf der Hardware lag).
Es drängt sich mir die Frage auf, was daran so grundneu sein soll. „Die Gesellschaft“ war schon immer (speziell im Gebiet eines gewissen föderalistischen Bundes, der in sträflicher Vereinfachung als „Deutschland“ bezeichnet wird) relativ inhomogen. Im Mittelalter gab es Stände, Bauern und Vaganten, Marx unterschied „Klassen“ die sich sogar bekämpfen sollten, aber das Internet fragmentiert die Gesellschaft – janee is klaar.
Schon in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts habe ich mit einem guten Freund analysiert, daß „die Gesellschaft“ ein irreführender Begriff ist, vor allem wenn er für eine Argumentation zur „Integration“ verwendet wird. Wir hatten unabhängig voneinander beobachtet, daß es in der Population dieses Staatsgebietes ganz verschiedene Gesellschaften gibt, die im Sinne Luhmanns keine Informationen austauschen können (und wir dachten mitnichten an „integrationsunwillige“ migranten sondern vielmehr an „Bürohengste“ und „Bauarbeiter, an „Akademiker“ und „Arbeiter“, „Normalos“ und „Veganer“, uswusf).Da gab es zwar schon Internet, aber die gesellschaftliche Relevanz kam erst 10 Jahre später.
Wirklich neu ist, daß es durch das Internet und die gar so schreckliche „neue Gesellschaft“ wie nie zuvor möglich ist sich seine Gesellschaft, ja sogar seine Familie (im Idealfall) nach Neigung und Interessenlage selbst zu bestimmen. In der Psychologie ist die Abwesenheit gerade dieser Wahlfreiheit das zentrale Element der Krankheitsdefinition. So gesehen sind wir gesamtgesellschaftlich mal auf dem Weg der Besserung.
Diese Arbeiter, die morgens alle über das gleiche reden von denen Frau Merkel so gerne träumt, gibt es heute auch noch: man nennt sie „Bildleser„(früher: Bildzeitungsleser…). Neu ist, daß sie nicht mehr auffallen weil sie nur wiederholen was die Agenturverwurstung unter die Bildchen gekritzelt hat. Neu ist ebenfalls, daß es (je nach Interesse und Neigung) die Möglichkeit gibt, auch über etwas anderes zu reden oder noch besser: über das gleiche anders zu reden (oder zu schreiben) und zwar öffentlich.
Die Möglichkeit zum öffentlichen Diskurs auf Augenhöhe mit den sogenannten „Medien“ ist das wahrhaft erschreckende (und eben anstrengende) für Politiker, die in den 90ern von den „alten Hasen“ aus den 80ern gelernt hatten die Ansichten der „Gesellschaft“ nur durch (im besten Fall) die Auflagenzahlen von Printprodukten oder (im Regelfall) die Dicksten Schlagzeilen der „Auflagenstärksten Tageszeitung“ zu bewerten. Wenn man seine dicke Brille absetzt ist die Welt eben wesentlich wattiger…